Stillen kann das schönste, einfachste und effektivste Mittel sein um Nahrung, Trost, Nähe und Schlaf zu spenden. Dennoch stillen weniger als 8% aller in Deutschland stillenden Frauen länger als 1 Jahr und nur noch 2% länger als 2 Jahre. Hier herrscht Abstillkultur. Kleinkinder zu stillen wird nicht gern gesehen. Dabei erfahren stillende Mamas von Kleinkindern die meiste Ablehnung aus dem engsten Familienkreis. Eine mehrjährige Stillbeziehung zu beenden, wird von gutgemeinten aber meist sinnlosen Ratschlägen begleitet und ist generell durch eine sehr dünne Informationslage geprägt. Zu warten, bis sich das Kind von alleine abstillt, ist auch keine Lösung. Ein Wochenende abhauen vielleicht und dann ist die Sache durch, nicht zu empfehlen. Aber was ist der richtige Weg?
Kleinkinder abstillen ist ne andere Nummer
Erst neulich hatte ich es mit einer Freundin davon, was für ein krasser Unterschied es ist, ein 2,5 jähriges statt ein 1jähriges Kind abzustillen. Nicht nur die Autonomiephase kickt gerade voll rein, auch gehört das Stillen zur täglichen Routine. „Die Bulli“ wie meine Tochter meine Brust nennt, war Lebensmittelpunkt, ja Lebenselixier. Ich stillte nach Bedarf, das heißt immer und über all, wenn sie danach verlangte. Heute weiß ich, dass ich uns beiden damit nicht unbedingt einen Gefallen damit getan habe. Ihr das nämlich jetzt zu nehmen, und das merke ich an ihren krassen Reaktionen, schmerzt mehr, als ich ahnte. Die Bulli scheint alternativlos.
1. und wichtigstes Learning für alle beginnenden & laufenden Stillbeziehung:
Von Anfang an und regelmäßig, alternative Einschlaf- und Beruhigungsoptionen anbieten und etablieren und nicht erst beim Abstillen damit anfangen. Auch wenn dein Kind, den Papa ablehnt, bleibt dran und bietet den Papa immer wieder als Bindungsperson an.
Stillen nach Bedarf, die Geißel der Bequemlichkeit
Über all hört man davon und ich selbst praktizierte Stillen nach Bedarf. Ich ließ meine Tochter gewähren, stillte zum Aufwachen, dann nochmal in der Übergangssituation vor der Kita und selbstverständlich direkt nach der Kita. Wenn wir zu Hause waren wollte meine Tochter am liebsten den ganzen Nachmittag stillen und das Wichtigste bis heute: Einschlafstillen. Am Ende wollte meine Tochter, zu dem Zeitpunkt 2,5 Jahre alt, fast stündlich stillen. Man muss dazu sagen, dass sie nie irgendwelche künstlichen Sauger benutzte und meine Brust daher auch nutzte, um ihr Saugbedürfnis zu stillen. Stillte ich anfangs noch sehr gerne und liebte unsere innige Stillbeziehung, wurde mir von Tag zu Tag bewusster, dass es so für mich nicht weitergeht. Ich hätte schon viel früher die Häufigkeit und Dauer des Stillens nicht nur anhand ihrer sondern auch anhand meiner Bedürfnisse anpassen müssen. Ich hatte schon oft halbherzige Abstill-Gedanken, die immer wieder meiner Bequemlichkeit wichen, aber jetzt wurde mir klar, ich will abstillen.
2. Learning für alle Still-Mamas:
Deine Aufopferung und Hingabe in Ehren aber schaue von Anfang an verstärkt auch auf deine Bedürfnisse, damit du nicht deine eigenen Grenzen übergehst. Dein Kind muss noch lernen emphatisch zu sein und kann nicht auf deine Bedürfnisse eingehen.
Doch wie kann man willensstarke Kleinkinder abstillen, die womöglich mitten in der Autonomiephase stecken, also ihren eigenen Willen, ihre Persönlichkeit und Wirksamkeit gerade aktiv entdecken und ausformen? Wie kann man sanft und bestenfalls bedürfnisorientiert (für alle Beteiligten) abstillen?
- HALTUNG: Um eine Stillbeziehung zu einem Kleinkind zu beenden, muss du dir ganz sicher sein, denn dein Kind wird es merken wenn du schwankst und davon irritiert sein. Deine Haltung zum Abstillen, dein Entschluss, muss feststehen. Dann präsentierst du deinem Kind deine Entscheidung. Dein Kind erhält keine zig Optionen sondern wird über die anstehende Veränderung informiert. Das ist mit klarer Haltung und Führung gemeint.
- ZEIT: „Drei Tage wird es hart sein und dann habt ihr es geschafft.“ Ist möglich - aber sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist ein längerer Prozess über mehrere Wochen, ja vielleicht sogar Monate, in dem ihr Schritt für Schritt als Familie Wege findet, Alternativen ausprobiert, Rückschläge hinnehmt, vielleicht auch mal pausieren müsst und mit neuer Strategie wieder von Vorne beginnt. Nehmt euch die Zeit und seht Rückschläge nicht als Versagen sondern als Vorbereitung für den nächsten Schritt.
- ELTERN KOMMUNIKATION: Der gesamte Abstill-Prozess ist vor allem für Mama & Kind sehr emotional, aber auch für den manchmal hilflosen Papa, ist es nicht leicht. Besprecht als Eltern miteinander, was ansteht, wo die Probleme sind, was die Optionen, eure Learnings und nächsten Schritte sind. Versucht an einem Strang zu ziehen und als Team aufzutreten. Welche Erwartungen habt ihr aneinander? Schafft Verständnis für die jeweilige Situation.
Endgegner: nächtliches Abstillen
Und dann ist der Tag irgendwann gekommen, dein Entschluss steht fest nachts nicht mehr zu stillen. Du hast mit deinem Kind darüber gesprochen, einen Zeitpunkt bestimmt, dir überlegt, was du alternativ anbieten möchtest. Wappne dich vor womöglich heftigstem Protest, Wut & Verzweiflung. Manchmal hilft nichts als da sein. Begleiten. Gefühlsstürme aushalten.
Irgendwann wirst du eine langsame Akzeptanz spüren. Ihr werdet merken, was deinem Kind gut tut: vielleicht Streicheln, Tragen, Ersatzmilch, Papa.
Vielleicht kommt es auch zu einem unerwarteten Rückschlag. So wie bei uns. Wir pausieren jetzt, kaufen einen Schaukelstuhl, schaffen einen neuen Stillort außerhalb des Bettes und sammeln ein paar Tage neue Kräfte. Das größte Learning wird am Ende sein: Wir sind auch in schwierigen Zeiten für mein Kind da. Wir beobachten es und seine Reaktion, gehen darauf ein auch wenn es erst lernen muss zu vertrauen/zu akzeptieren. Das Kind darf seine Wut darüber rauslassen. Jetzt ist es noch schwer - aber alles wird gut.
Notmaßnahmen für harte Abstill-Tage:
- Spontanes Telefonat mit der Stillberaterin vereinbaren, seelischen Beistand bekommen, Situation und weiteres Vorgehen besprechen
- Wenn ihr merkt, dass etwas gar nicht funktioniert, verändert eure Methode und passt sie an eure Situation an. Jedes Abstillen und jedes kindliche Bedürfnis ist anders.
- Tu dir etwas Gutes und fülle deine Tanks tagsüber auf um dich bereit für die nächsten Nächte zu machen.
- Gehe wenn möglich etwas früher schlafen.
- Vermeide unnötige und destruktive Gedankengänge und besinne dich auf die fantastische Zukunft, die vor euch liegt: ein abgestilltes Kind, dass sich auch anderweitig beruhigen und begleiten lässt und eine unabhängige Mama, die ausgeht und auch mal ein Wochenende nur für sich oder mit ihrem Mann oder den Freundinnen planen kann.
Im Folgenden Schritt für Schritt Anleitung für ein sanftes Abstillen eines Kleinkindes:
- Hole dir Unterstützung durch eine Stillberaterin.
- Kommuniziere dein Vorhaben und bitte deinen Partner/dein familiäres Umfeld um Unterstützung, zum Beispiel dein Kind verstärkt abzulenken.
- Bedürfnisorientiert abstillen heißt auch, dass deine Bedürfnisse genauso zählen. Du darfst deine Grenzen aufzeigen und sagen, dass du nicht mehr stillen möchtest, dass du müde bist. Nimm diese klare Haltung ein – ohne schlechtes Gewissen.
- Überlege dir Alternativen. Wenn der gemeinsame Stillmoment jetzt wegfällt - wodurch kann er ersetzt/aufgefangen werden? Zusammen kuscheln, ein Buch lesen? Ein Kuscheltier als Begleiter?
- Wähle einen guten Startpunkt. Am Besten zu Hause, zum Beispiel am Wochenende wenn alle da sind um zu helfen und wenn dein Kind fit ist, nicht kränkelt und auch sonst keine größere Veränderung ansteht.
- Wenn du sanft und langsam abstillen möchtest, reduziere das Stillen:
- Bestimme zunächst einen neuen Stillort. Es wird ausnahmslos nur noch dort gestillt.
- Bestimme neue Still-Zeiten. Zum Beispiel nur noch stillen wenn es dunkel/wenn es hell ist.
- Bleibe konsequent während des Protestes deines Kindes (außer dein Kind signalisiert dir an der Heftigkeit seines Protestes etwas anderes.)
- Erlaubt euch Pausen & Anpassungen bei anstrengendem mehrwöchigem Abstillprozess.
- Bleibe bei deinem Kind während es weint oder schreit - signalisiere, dass du da bist!
- Nehme die Trauer, den Schmerz, die Wut an, drücke sie nicht weg. Fühle mit und nehme gemeinsam Abschied von eurer Stillzeit.